Auf ihrem YouTube-Kanal „EckArtRezept“ stellen Irina, ihr Mann Andrej und Sohn Artem russlanddeutsche Rezepte vor. Mit den Videos „Lecker! Wie bei Oma“ gewann die junge Familie 2017 den Wettbewerb „Russlanddeutsche in der Avantgarde der Zukunft“ des Internationalen Verbands der deutschen Kultur. Im Interview sprechen Irina und Andrej über ihre Familiengeschichte und ihre Projekte.
Woher kommen eure deutschen Vorfahren?
Irina: Mein Mädchenname ist Eckert. Meine Oma väterlicherseits, Rosa Eckert, ist halb Deutsche, halb Estin. Die Eckerts sind vermutlich schon in den 1930er-Jahren nach Zwetnopolje gekommen. Meine Oma mütterlicherseits heißt Hilde Engelmann. Ihre Vorfahren sind aus dem Kaukasus nach Sibirien gekommen. Ein Teil meiner Familie kommt aus der Ukraine.
Andrej: Meine Vorfahren mütterlicherseits wurden wahrscheinlich von der Wolga nach Kasachstan deportiert. Ich war schon mit 14 Jahren in russlanddeutschen Jugendklubs aktiv. Als ich 17 Jahre alt war, bin ich zum Studieren nach Moskau gegangen. Dort habe ich im Bildungs- und Informationszentrum (BiZ) gearbeitet. Das BiZ hat seinen Sitz im Deutsch-Russischen Haus.
Irina: Dort sind auch der Internationale Verband der Deutschen Kultur (IVDK) und der Jugendring der Russlanddeutschen (JdR). Bei einem Projekt des JdR in der Stadt Ischewsk haben Andrej und ich uns kennengelernt. Nach drei Monaten bin ich zu Andrej nach Moskau gezogen. Wir haben dann beide im Deutsch-Russischen Haus gearbeitet.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, russlanddeutsche Rezepte zu sammeln?
Andrej: Was isst man denn als junger Mensch in Moskau? Etwas Einfaches, das schnell geht: Fast Food oder Pelmeni. Irina kam als „Mädchen vom Land“ ins Deutsch-Russische Haus und fing an dort Riwwelkuchen zu backen und Strudli zu kochen.
Irina: Meine Mutter und meine Omas haben diese Gerichte immer gekocht. Ich bin damit aufgewachsen. In Moskau kannten zwar viele den Riwwelkuchen, haben ihn aber nie selbst gemacht. Manche jungen Leute wussten nicht mal, dass ihre Vorfahren Deutsche waren. Die Deportationen, die Trudarmee – das waren schmerzhafte Themen. Nicht alle haben offen darüber gesprochen. Durch die Rezepte wurde die russlanddeutsche Tradition greifbar.
Und wie ist euer YouTube-Kanal entstanden?
Andrej: Nach vier Jahren in Moskau sind wir nach Omsk zurückgekommen. Pierre-Christian Brochet von der Fernsehserie „Moja ljubov – Rossija!“ hat eine Reportage über Irinas Familie gemacht. Irina sprach über die Kultur der Russlanddeutschen. Man sagte ihr, dass sie vor der Kamera gut wirkt und ob sie nicht einen Blog machen wolle. Die Idee hat uns gefallen.
Irina: Nach einer Weile begannen die Leute uns zu schreiben und Rezepte zu schicken. Sie meinten: „Ja genau, so hat meine Oma immer gekocht“ oder „Bei uns gab es das Gericht auch, aber es hieß anders“. Die Mennoniten nennen den Riwwelkuchen zum Beispiel „Ribelploz“. Dieser Austausch ist toll.
Habt ihr ein Lieblingsrezept?
Irina: Ich mag Nagiesaher und Kartula vorst. Das Rezept für Nagiesaher habe ich von meiner Oma Hilde. Der Name kommt von den Dialektwörtern „Nage Saher“ (Nackte Säue). Es gibt auch den Ausdruck „Nagimeis“ (Nackte Mäuse) oder „Drei mal gekocht“, weil die Kartoffeln dreifach bearbeitet werden. Und von meiner Oma Rosa habe ich das estnische Rezept für „Kartula vorst“, Kartoffelwurst. In beiden Gerichten sind Kartoffeln, Faschiertes und Zwiebeln.
Andrej: Ich mag besonders Riwwelkuchen und Krebli. Artem mag auch Nudelsupp, eine einfache Brühe mit Nudeln, sehr gern.
Irina: Ja, Riwwelkuchen mag ich natürlich auch. Als Kind war das immer das schönste, heimlich die Streusel vom Kuchen zu naschen! Sonntags gab es in meiner Familie immer Schnitzsuppe mit Trockenfrüchten und Krebli. Andrej kocht übrigens auch oft und sehr lecker.
An welchen Projekten arbeitet ihr jetzt gerade?
Andrej: Wir haben gerade Zuckerrübensirup gemacht. Das ist viel Arbeit. Aus einem ganzen Eimer voller Zuckerrüben entstand ein kleines Glas mit Sirup. Aber früher gab es keinen Zucker. Wenn man den Kindern eine Freude machen wollte, musste man die vielen Arbeitsschritte auf sich nehmen.
Irina: Die Zuckerrüben haben wir selbst in Zwetnopolje angesetzt, auch Physalis und Kürbisse. Der Zuckerrübensirup wird mit Schmand vermengt und zu Pfannkuchen oder Krebli gegessen.
Andrej: Bei Veranstaltungen haben wir auch oft einen Stand und backen Waffeln. Wir haben ein altes Waffeleisen, ein gusseisernes, von deutschen Vorfahren aus dem 18. Jahrhundert.
Irina: Mein Vater und meine Onkel haben uns dafür einen Ofen gebaut. Das ist schon etwas Besonders. Den Kindern gefällt das. Die Waffeln nennen wir »Wuffel« wie die Mennoniten. Sie sind besonders mit regionalen Produkten lecker. Wir kaufen Milch, Eier und Butter im Dorf.
Wen wollt ihr mit euren Projekten erreichen?
Irina: Wir möchten vor allem junge Leute ansprechen. Wenn die Großeltern die Gerichte nicht gekocht haben, sehen viele das nicht als ihre Tradition. Ich finde, Traditionen können auch neu entstehen, wie bei uns zum Beispiel der Quarkstollen. Wir backen ihn jedes Jahr, obwohl das kein russlanddeutsches Rezept ist, sondern einfach eines aus Deutschland. Ich sehe es so: Artem wird es als unsere Familientradition empfinden. Vielleicht entstehen durch unseren YouTube-Kanal ähnliche Traditionen.
Andrej: Wir freuen uns jedenfalls immer, wenn unsere Rezepte nachgekocht werden und wir Feedback bekommen. Und wir sind auch immer offen für gemeinsame Projekte.
Das Interview führte Magdalena Sturm