Vom Familienfilm über den Dokumentarfilm bis zum Drama und Liebesfilm – das Programm der russlanddeutschen Filmwoche im Februar 2019 in Omsk war bunt gemischt. Die Filme warfen Fragen rund um Identität und Kultur der Russlanddeutschen auf.
Laut der letzten Volkszählung im Jahr 2010 wohnen in der Region Omsk noch etwa 50000 Russlanddeutsche. „Vielleicht ja auch in Ihrem Haus?“ fragt Olga Martens, die erste stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Verbands der deutschen Kultur (IVDK), bei der Begrüßung der zahlreich erschienenen Gäste im Majakowskij-Kino in Omsk in die Runde. „Genau darum – darum, wo und wie die Russlanddeutschen heute leben – geht es bei unserem Filmprojekt.“
Eins, Zwei, Drei
Eine Wohnung in Moskau. Der Junge Ivan sitzt am Tisch und isst, seine Mutter bügelt. „Warum soll ich denn Deutsch lernen?“, fragt Ivan patzig. „Ich wohne doch in Moskau!“ „Du lebst im 21. Jahrhundert“, argumentiert seine Mutter. „Außerdem fließt deutsches Blut in deinen Adern.“ Keine Widerrede: Ivan muss zum Sommerlager in Freiburg im Schwarzwald. Auf den Deutschunterricht hat er keine Lust. Bis er die 11-jährige Erika kennenlernt. Ivan will sich mit dem coolen Mädchen anfreunden, aber Erika spricht kein Russisch. Es bleibt ihm nichts anderes übrig: Ivan muss Deutsch lernen. In drei Teilen erzählt das Filmprojekt „Eins, Zwei, Drei“ die Geschichte einer deutsch-russischen Freundschaft.
Der eigene Bezug zu Deutsch
In Omsk wurden die ersten beiden Teile der Trilogie gezeigt. Sie spielen im Schwarzwald und in einem deutschen Dorf im Altai. Im Anschluss an die Filmvorführung erzählten Drehbuchautorin Irina Lindt und Regisseurin Anna Bagmet, beide selbst Russlanddeutsche, von den Dreharbeiten. „Der Film hat in unserer Crew viel bewegt“, sagt Irina Lindt. Ihr Sohn Ivan – er spielte die Hauptrolle im Film – habe durch die Dreharbeiten seinen eigenen Bezug zur deutschen Sprache gefunden. „Erst wollte Ivan Spanisch lernen“, erzählt Lindt. „Jetzt sagt er: Ich liebe Deutschland, ich will Deutsch lernen!“ Anna Bagmetfreute sich, den Film in Omsk zeigen zu können. „Meine Großmutter wurde hier geboren“, sagt sie. „Deshalb ist das etwas Besonderes für mich.“
POKA heißt Tschüss auf Russisch
Die 1990er-Jahre in einem kleinen Dorf in Kasachstan. Der Russlanddeutsche Georg Weber arbeitet als Physiklehrer. Eines Tages erreicht seine Familie der lang ersehnte Aufnahmebescheid in Deutschland. Damit steht fest: Die Webers werden, wie schon viele Russlanddeutsche vor ihnen, ausreisen. Die Vorfreude auf ein besseres Leben im vermeintlich goldenen Westen ist groß. Georg hat sich aber in Lena, die Tochter des Sowchosevorstehers, verliebt und muss eine Entscheidung treffen: Geht er mit seiner Familie nach Deutschland oder bleibt er bei Lena in Kasachstan? Als Lena schwanger wird, heiraten sie kurzerhand und Georg nimmt sie mit auf die Reise ins Ungewisse. Ihr Traum: ein Haus im Norden Deutschlands mit Blick auf das Meer.
Erwartung und Realität
So hat sich Lena das Leben in Deutschland nicht vorgestellt. Statt in einem Haus mit Meerblick, wohnt sie mit ihrem Mann Georg und vielen anderen Spätaussiedlern in einer provisorisch zur Unterkunft umgebauten Turnhalle.Georg kann keine Anstellung als Lehrer finden und Lena, in Kasachstan Medizinstudentin, wird nur der Realschulabschluss anerkannt. Der Film zeigt: Nicht alle Spätaussiedler finden in Deutschland ihr Glück. Manche kehren nach Kasachstan zurück. Andere überwinden die anfänglichen Enttäuschungen und beginnen ein neues Leben. „Ich hoffe, dass das deutsche Publikum durch den Film versteht, aus welcher Welt wir gekommen sind“, erklärt Regisseurin Anna Hoffmann, die als 10-Jährige aus Kasachstan nach Deutschland kam.
Nemez
Auch Dima, die Hauptfigur im Film „Nemez“ von Stanislav Güntner, hat Schwierigkeiten, sich in der neuen Heimat zurechtzufinden. Dimas Eltern, in Russland Akademiker, arbeiten in Berlin als Taxifahrer und Putzfrau. Dima selbst hat sich einer Bande von Kunstdieben angeschlossen. „Du bist ein Fremder hier, genau wie ich. Keiner will uns, keiner wartet auf uns“, erklärt ihm Bandenchef Georgij. Dima landet schließlich im Gefängnis. Erst als er die Kunststudentin Nadja kennenlernt, bekommt er eine neue Zukunftsperspektive. Ausgerechnet jetzt planen seine Eltern die Rückreise nach Russland. „In Russland ein Deutscher, in Deutschland ein Russe.“ Mit diesem Satz fasst Regisseur Stanislav Güntner das Motto des Films zusammen.
Halb russisch, halb deutsch
Stanislav Güntner wurde in Tscheljabinsk geboren. Im Jahr 1989, als er 12 Jahre alt war, übersiedelte seine Familie nach Dresden, damals noch Teil der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Güntner war es wichtig, viele Russlanddeutsche in sein Filmteam zu holen. „Es sollte ein Film von Russlanddeutschen über Russlanddeutsche werden“, erklärt er. Das Drama „Nemez“ richte sich aber generell an alle, die versuchen ihren Platz in einer Gesellschaft zu finden, in der sie als Fremde angesehen werden. Die Suche nach Heimat, so der Regisseur, bewege heute viele Menschen. „Wir leben in einer multikulturellen Welt, in der immer mehr Grenzgänger sind zwischen den Kulturen“, sagt er.
Der Diskussionsklub „Avantgarde“
Gezeigt wurden auch die Dokumentarfilme „Liebe auf sibirisch“ von Olga Delane und „Долгий путь назад – путешествия Российско-немецкого театра“ von Aleksej Getmann und Ralf Waiermann. Im Pjatij Teatr wurde das Stück „Liebовь“ aufgeführt. Irina Lindt und Anna Bagmet trugen Gedichte russlanddeutscher Autoren vor und versetzten die Zuseher mit Liedern von Marlene Dietrich in das Berlin der 1930er-Jahre. Die russlanddeutsche Filmwoche fand im Rahmen des Diskussionsklubs „Avantgarde“ des IVDK statt. Der Diskussionsklub versammelt jährlich russlanddeutsche Vertreter der Wissenschaft und Kultur, Sportler und Aktivisten des öffentlichen Lebens aus verschiedenen Regionen Russlands.
Von Magdalena Sturm